Startseite > Allgemein > Großfahrt 2007 Irland: Audienz beim König

irland 07cIm Jahr 1996 trampte Tony Hawks mit einem Kühlschrank rund um Irland. Eine in unseren Augen absolut hervorragende Idee und nichts konnte uns davon abhalten, seinen Spuren zu folgen. Auf den Kühlschrank verzichteten wir, weil wir keinen Ort brauchten, um unsere Schuhe trocken zu lagern. Uns reichten Kühlschrankmagneten. Einen Höhepunkt der Reise bildete der Besuch beim König von Tory Island. Die Insel liegt 14 km nordwestlich vor der Küste von Donegal im Atlantik und ist somit der nordwestlichste bewohnte Punkt Europas. Die Insel ist flach, baumlos und knapp einen Kilometer breit und fünf Kilometer lang. Die 170 Bewohner entgingen ihrer Zwangsumsiedlung auf das Festland in den siebziger Jahren, indem sie sich selbst organisierten. Oberhaupt der Kollektive ist ein König, dessen Amt teils vererbt, teils durch Wahl bestimmt wird. Derzeitiger Amtsinhaber ist Patsy Dan Rodgers, und den wollten wir sehen.

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Die ersten beiden Gruppen warteten schon eine ganze Weile im windgepeitschten Magheroarty, zusammengekauert unter einem Vordach der geschlossenen Imbissstube am Pier. Notdürftig versorgte sie sich mit halbwarmen Tee, bis endlich ein geschlossener Kastenwagen vorfuhr, im allerletzten Moment stoppte, die Seitentür öffnete und zunächst ein großer Hund heraussprang. Dahinter erst unsere letzten Pfadfinderinnen, von oben bis unten voller Hundehaare, aber in sehr ausgelassener Stimmung. Trotz der unverhofft hohen Kosten für die Fähre war der Entschluss, den König von Tory mit eigenen Augen zu sehen, unverrückbar. Bald schlug uns Gischt ins Gesicht und bei steifer Brise und deutlichem Wellengang  führte uns die kleine Fähre unserem Tagesziel entgegen. Die mit uns an Bord befindlichen Toryaner waren offensichtlich zwecks Alkoholeinkaufs zum Festland übergesetzt. Sie begannen dann auch unverzüglich mit dem Konsum und waren bald sehr angeheitert. Am Pier von Tory Island drängten sich uns die Worte von Tony Hawks mit Urgewalt in den Sinn: „Die Grenze zwischen friedlich, abgelegen und klein oder richtiggehend langweilig ist sehr dünn“. 

Zur allgemeinen Aufmunterung setzte abrupt ein heftiger Wolkenguss ein. Diejenigen, die sich mit Hilfe unsäglich hässlicher Touristen-Regenjacken-Hosencombis in Michelinmännchen verwandeln konnten, waren heilfroh über diese Auswüchse der Zivilisation. Gleich neben den wenigen Häusern ging es links heraus Richtung Leuchtturm und ins baldige Niemandsland. Ins matschige, nasse, versumpfte Niemandsland. Nachdem Alternativen ausgelotet waren, wurde die Kothe auf einem immerhin bis zum nächsten Morgen um zwei halbwegs trockenen Platz errichtet. Von dort aus war kein Mensch weit und breit zu entdecken, nur Kaninchen und die seltsam-gruseligen Rufe der Wachtelkönige und Kiebitze zeugten von Leben auf diesem tristen Stückchen Erde. Unten am Strand hingegen waren die Dorfjugendlichen schwer damit beschäftigt, aus der Inselmüllkippe einen großen Haufen zu errichten. Wüstes Gegröhle und das sinnlose Herumrattern mit mofaähnlichen Gebilden schallte zu uns herauf. Als wir bald das Gefühl hatten, wirklich alles gesehen zu haben, zogen wir los Richtung Zentrum. Der Pub hatte Ähnlichkeit mit einer unsympathischen  Mischung aus Hotel und angeschlossenem Dorfgemeinschaftsraum. Die Räumlichkeit füllte sich recht zügig. Wir vermuteten, dass es sonst einfach überhaupt nichts auf der Insel zu sehen oder zu tun gäbe. Außer natürlich, auf einer Müllkippe zu spielen, um mal so richtig was zu erleben. Unser Reiseführer verlautbarte hingegen, dass man nicht zum Schlafen auf die Insel käme – er sollte recht behalten. 

irland 07dSchließlich, als der Füllstand des Raumes einen Höhepunkt erreichte, erschien ein älterer Herr mit Ohrringen und Schiffermütze auf dem Kopf und einem Akkordeon unter dem Arm. Er hatte ein sehr offenes, freundliches Gesicht und intensiv strahlende blaue Augen. In seinem Schlepptau folgte eine Dame in mittleren Jahren, die sich als Margo, Donegal Person of the Year, entpuppte und zur Vorstellung eine herzzerreißende und sehr selbstverliebte Geschichte zum besten gab, von dem Tag, an dem sie feststellte, dass sie eine ganz besondere Person sei. Anschließend dankte die „Königin der Country und Irischen Musik“ so ziemlich jedem, angefangen von ihrem Vater, ihrem Bruder, usw. bis hin zu dem Toryaner, der sie irgendwann einmal gebeten hatte, doch auf seiner Insel vorbeizuschauen. Endlich besann sie sich auf ihre eigentlich Qualitäten und begann zu singen. Sie wurde vom Akkordeonspieler begleitet, der nicht weniger war als der König von Tory höchstselbst in Person. Uns packte die Begeisterung, denn singen, das konnte sie wirklich gut.  Die Leute von Tory Island ließen sich auch nicht lange bitten und begannen zu tanzen. Und so wie es aussah, gehörte es zu ihren ureigensten Beschäftigungen. Das erklärte uns auch das Ausmaß freien Raumes im Saal. Es dauerte nicht lang und der König quatschte unsere vergnügten Gesichter an. Er war sehr liebenswürdig, erkundigte sich nach woher und wohin und begrüßte uns mit der ganzen Fülle seines irischen Herzens auf seiner Insel, hieß uns herzlichst und mit königlichem Kuss willkommen. Wir waren hin und weg. Im weiteren Verlauf des Abends stellte sich auch heraus, dass die Dorfjugendlichen nicht im Müll gespielt hatten, sondern im positiven Sinn produktiv gewesen waren und das traditionelle „bonfire“ anlässlich der Sonnwendfeier errichtetirland 07a hatten. Nach dem Pub wechselten die meisten Gäste dann also über an den Strand und feierten dort weiter, bis es anschließend zur Sonntagsmesse ging. Da unsere Kothe am Morgen leider einem See glich (vielleicht ein geographisches Phänomen von Ebbe und Flut, vielleicht auch mehr meteorologisch) waren wir froh über den strahlend blauen Himmel und die warmen Sonnenstrahlen. Viel zu bald hieß es wieder Abschied zu nehmen von unserer Insel, die wir schon an Bord der Fähre sehr vermissten (obgleich das zeichnerische Talent des Königs maßlos überschätzt wird, siehe rechts).

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